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Zur Strafbarkeit der Leugnung historischer Tatsachen

 
Unter den Handlungsmodalitäten der vieldiskutierten Vorschrift des § 130 Abs. 3 dt StGB („billigt, leugnet oder verharmlost“) , hat sich diejenige des Leugnens als die am meisten problematisch erwiesen, und zwar deswegen, weil sie, im Gegensatz zu den zwei anderen, keine direkte und offene Stellungnahme gegen irgendein Rechtsgut zum Ausdruck bringt, zumal das „Leugnen“, als Meinungsäußerung und mit Forschung verwandte Tätigkeit, verfassungsmäßig und noch im Bereich des unantastbaren Raums der Menschenrechte zu liegen scheint. Es fragt sich also zunächst, ob der Handlungsmodalität der Leugnung ein eigenständiges Unrecht zukommen könnte.
I. Zur Eigenständigkeit des Unwerts des Leugnens
1. Das Leugnen als Träger von Unwert
Es ist durchaus charakteristisch, dass das deutsche Gesetz die Leugnung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Straftat nach § 130 Abs. 3 dt StGB nicht selbständig pönalisiert, sondern nur unter der Voraussetzung, dass sie „geeignet ist den öffentlichen Frieden zu stören“. Ohne diese Verbindung mit der Geeignetheit der Handlung zur Störung des öffentlichen Frieden ist somit die Leugnung strafrechtlich irrelevant und kann straffrei begangen werden.
Auf der anderen Seite aber, ist es nicht zu übersehen, dass die Handlung des Leugnens per se Träger eines selbständigen Unwerts ist. Das folgt daraus, dass der deutsche Gesetzgeber von allen möglichen Handlungsmodalitäten, die geeignet wären, den öffentlichen Frieden zu stören, nur diejenigen der Billigung, Leugnung und Verharmlosung ausgewählt und als strafbar erklärt hat. So hat er z.B. weder die wiederholte Veröffentlichung bzw. Verkauf von Nazi Büchern verboten noch Sendungen historischen Inhalts im Fernsehen mit Aktualitäten aus der Nazi Zeit, die öffentlichen Reden des damaligen Regimes darstellen, oder die Duldung einer solchen Billigung, obwohl es sich dabei um Äußerungen handelt, die den Anhänger dieser Weltanschauung sehr willkommen wären (wohlgemerkt: die Duldung der Leugnung von Genozid Verbrechen wird als strafwürdig in der EU Richtlinie zur Bekämpfung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit von 2007 betrachtet) .
Die Leugnung stellt somit nach dem ausgedrückten Willen des deutschen Gesetzgebers, den Handlungsunwert der Straftat des § 130 Abs. 3 dt StGB, der zusätzlich dem Erfolgsunwert der Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens hinzukommen muss, um das volle Unrecht der Straftat zu bilden, da ein beliebiger Umgang mit Fragen aus der Nazi Zeit zur Begründung der Strafbarkeit nicht genügt, auch wenn er sich als geeignet erwiesen würde, den öffentlichen Frieden zu stören.
2. Die einschlägigen Strafvorschriften der europäischen Länder
Diese These, dass nämlich die Leugnung der Völkervernichtungen einen selbständigen Unwert hat, wird auch dadurch verstärkt, dass die meisten Staaten, die die Billigung von Straftaten gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellen, die Leugnung des Völkermordes ohne Weiteres als strafwürdig betrachten, also unabhängig davon, ob sie zusätzlich geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
So wird in einer ganzen Reihe von Strafvorschriften bestimmter europäischen Staaten, wie z.B. Belgien, Frankreich, Israel, Luxemburg, Österreich, Polen, Rumänien, die Schweiz, Spanien und Tschechien, ausdrücklich vorgesehen, dass die Genozid-Leugnung selbständig strafbar ist, unter der einzigen Voraussetzung dass sie öffentlich begangen wurde, während die Schweiz zusätzlich Verletzung der Menschenwürde verlangt.
Belgien: Artikel 1 des Negationismus-Gesetzes v. 1995, ergänzt 1999 (loi tendant à réprimer la négation, la minimisation, la justification ou l'approbation du génocide commis par le régime national-socialiste allemand pendant la seconde guerre mondiale): betsraft wird wer entsprechend Art. 444 des belgischen Strafgesetzbuches den Genozid, begangen durch das Deutsche Nationalsozialistische Regime während des Zweiten Weltkrieges, leugnet, grob verharmlost, rechtfertigt oder billigt.
Frankreich: Art 9 des Gesetzes No. 90-615 zur Verhinderung von rassistischen, antisemitischen und ausländerfeindlichen Taten v. 1990 (sog. loi Gayssot das Artikel 24 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 über die Freiheit der Presse unter anderem folgendermaßen ergänzte: Wer die Existenz eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Frage stellt, definiert in Art. 6 des Statuts des Internationalen Militärtribunals, festgehalten im Londoner Abkommen vom 8. August 1945 und welche von Mitgliedern einer als kriminell unter Art. 9 des genannten Statuts genannten Organisation oder einer Person die unter französischer oder internationaler Gesetzgebung solcher Verbrechen schuldig befunden wurde ausgeführt wird, „soll von einem Monat bis zu einem Jahr Gefängnis oder Bußgeld bestraft werden.“
Ιsrael Gesetz 5746 zur Leugnung des Holocaust (1986): 2. Eine Person, die schriftlich oder durch das gesprochene Wort irgendeine Aussage, die die Taten die in der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden leugnet oder seinen Umfang relativiert, und welche Verbrechen gegen die jüdischen Menschen oder die Menschlichkeit, mit dem Ziel die Täter zu verteidigen, Sympathie auszudrücken oder sich mit ihnen zu identifizieren, veröffentlicht, soll mit Inhaftierung für die Zeit von fünf Jahren dafür verantwortlich gemacht werden.
Luxemburg Article 457 (3) (1997):Leugnung und RevisionismusJeder, der Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie definiert im Statut des Internationalen Militärtribunals vom 8. August 1945 oder die Existenz eines Genozids wie definiert im Gesetz vom 8. August 1985 bezweifelt, relativiert, rechtfertigt oder leugnet, wird mit Gefängnis zwischen 8 Tagen und 6 Monaten oder Geldbuße bestraft. Um zur Verhandlung zu kommen, muß die betroffene Person (oder Organisation) Anzeige gegen den Täter erstatten.
Österreich: Verbotsgesetz 1947 (ergänzt im Jahre1992)§ 3g. Wer sich auf eine andere als die in den §§ 3 a bis f bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt (Wiederbetätigung oder Identifizierung mit der NSDAP), wird, sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung strenger strafbar ist, mit schwerem Kerker von 5 bis zu 10 Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung mit bis zu 20 Jahren bestraft.
Polen: Gesetz vom 18. Dezember 1998 der Institut für Nationales Gedenken-Kommission zur Verfolgung von Verbrechen gegen die polnische Nation (|Dz.U. 1998 nr 155 poz. 1016) Artikel 55
Wer öffentlich und entgegen den Fakten die Verbrechen genannt in Art. 1 (a) bestreitet, wird mit Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft. Das Urteil wird veröffentlicht.Artikel 1
Das Gesetz erstreckt sich auf :1. die Registrierung, Sammlung, den Zugang, die Verwaltung und die Benutzung von Dokumenten der Organe der Staatssicherheit zwischen dem 22. Juli 1944 und dem 31. Dezember 1989 sowie die Dokumente des Dritten Reiches und der Sowjetunion betreffend:
a) Verbrechen ausgeführt gegen Personen polnischer Nationalität sowie polnische Bürger anderer Ethnien und Nationalitäten in der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 31. Dezember 1989:
- Naziverbrechen,
- kommunistische Verbrechen,
- Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen
b) andere politisch motivierte repressive Handlungen ausgeführt von Funktionären polnischer Strafverfolgungsbehörden, der Justiz oder von ihnen beauftragte Personen entsprechend dem Gesetz vom 23. Februar 1991 zur Bestätigung der Null und Nichtigentscheidungen für Personen verfolgt wegen Aktivitäten im Sinne eines unabhängigen polnischen Staates (Gesetzblatt 1993 No. 34, Art. 149, von 1995 No. 36, Art. 159, No. 28, Art. 143 und 1998 No. 97, Art. 604),
Rumanien Notfallgesetz No.31 (2002, ratifiziert Mai 2005)
(4) Öffentliche Leugnung des Holocaust oder seiner Folgen wird mit Gefängnis von 6 Monaten bis 5 Jahren und dem Verlust der Bürgerlichen Ehrenrechte bestraft..
Schweiz: Art 261bis schw StGB Rassendiskriminierung (1995)
Wer öffentlich … durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht, … wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Spanien: Anti-Genozid-Gesetz (1971, ergänzt 1995) Art. 607 (2) span StGB : Die Verbreitung jeder Art von Ideen oder Doktrinen welche Verbrechen im Sinne der vorherigen Ziffer dieses Artikels leugnen oder rechtfertigen, der Versuch der Wiedererrichtung von Regimen oder Institutionen welche diese schützen oder gewähren lassen wird mit Gefängnis von einem bis zwei Jahren bestraft.(Wohlgemerkt: Die Einfügung der Worte „leugnen oder“ wurde vom Spanischen Verfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7. November 2007 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Darin wird aber später eingegangen sein).
Tschechien Gesetz gegen die Unterstützung und Förderung von Bewegungen die Menschenrechte und -freiheiten unterdrücken (2001) § 261a Die Person, die „den Nazi- oder kommunistischen Genozid öffentlich verneint, in Zweifel zieht, billigt oder zu rechtfertigen sucht“ oder ebenso andere Verbrechen der Nazis oder Kommunisten, wird mit Gefängnis von 6 Monaten bis 3 Jahren bestraft.
Auch der griechische Entwurf „zur Bekämpfung durch das Strafrecht bestimmter Formen und Äußerungen von Rassismus und Ausländerhass“ bestraft u.a. denjenigen, der die Bedeutung von Völkermordstraftaten, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (Artikeln 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs und Art. 6 des Statuts des Militärischen Gerichtshofs des Londoners Abkommens vom 8.8.1945) preist, leugnet oder verharmlost.
Aber auch regionale Organisationen wie die Europäische Union und der Europarat haben Stellung zum Thema genommen. So sieht das Zusatzprotokoll des Europarates zum Übereinkommen über die Internet Delikte (Additional Protocol to the Convention on Cyber Crime) im Art. 6 vor, dass die Mitgliedstaaten die Leugnung, Verharmlosung, Zustimmung oder Rechtfertigung von Genoziden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar machen sollten, ohne die Strafbarkeit des Leugnens von irgendeiner Rechtsfriedenstörung abhängig zu machen. Ebenfalls verpflichtet die EU Richtlinie zur Bekämpfung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit die Mitgliedstaaten dazu, die „öffentliche Duldung, Leugnung oder massive Trivialisierung von Genozid-Verbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ unter Strafe zu stellen (S. Fn.2), ebenfalls ungeachtet dessen, ob diese Leugnung mit irgendeiner weiteren Rechtsgutsverletzung verbunden ist oder nicht.
Εs trifft zwar zu, dass in Spanien und Frankreich die Leugnungsstrafbarkeit bekanntlich als verfassungswidrig wegen Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit erklärt worden ist (darin werden wir später eingehen). Hier geht es aber nicht um diese Frage, sondern darum, ob der schlichten Leugnung von Völkermordstraftaten, ob in der Nazi-Zeit oder nicht, ein eigenständiger Unwert zukommt, unabhängig von jeglicher Verletzung des öffentlichen Friedens, der Menschenwürde o.ä.
3. Die Stellungnahme der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung
Der BGH hat jedoch in seiner bekannten Entscheidung vom 12.12. 2000 den Unwert der Handlung ausschließlich aus deren Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens abgeleitet. So steht es in den Gründen, dass die Tat deswegen geeignet war, den öffentlichen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland zu stören, weil sie Sätze beinhaltete wie: „Die Jagdsaison auf die Deutschen ist eröffnet“, „Daher können alle Deutschen und Deutschstämmigen ohne den aufgezwungenen Schuldkomplex leben“, usw. und dass infolgedessen das Landgericht zu Recht angenommen habe, dass der Angeklagte „eine Gefahrenquelle schuf, die geeignet war, das gedeihliche miteinander zwischen Juden und anderen Bevölkerungsgruppen empfindlich zu stören und die Juden in ihrem Sicherheitsgefühl und in ihrem Vertrauen auf Sicherheit zu beeinträchtigen“.
D.h., der BGH hat in der Handlung des Leugnens keinen immanenten Unwert gesehen, der sie mit der potentiellen Störung des öffentlichen Friedens schlüssig verknüpft. Er hat keine Merkmale verortet, die die Leugnung geeignet machten, den öffentlichen Frieden zu stören, sondern hat im Gegenteil, diese Geeignetheit aus anderen Äußerungen des Angeklagten geschlossen, welche nicht von der Leugnung herrührten, sondern durch sie schlicht begründet wurden: Es hätte keinen Holocaust gegeben, also könnten die Deutschen wieder stolz sein, also könnten die Juden dadurch in ihrem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt werden .
Die Hauptfrage ist aber nicht, ob eine andere Teilhandlung, wie z.B. die Behauptungen: „Die Deutschen können wieder stolz sein“, „Die Jagdsaison auf die Deutschen ist eröffnet“ etc., die durch die Handlung der Leugnung begründet werden, geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, sondern eben die, ob die Leugnung selbst einen eigenständigen Unwert hat, der per se geeignet ist, diesen Erfolg hervorzurufen. Hat die Leugnung keinen sozialschädlichen Unwert, der das Prädikat der Strafwürdigkeit tragen kann, hat sie einen rein informativen Charakter oder einen schlicht moralischen Unwert, so stellt sie kein Handlungsunrecht dar und darf nach den Prinzipien unserer Rechtskultur nicht strafbar sein.
Nach dem gesagten steht es jedoch fest, dass der Leugnung ein eigenständiges Unrecht zukommt, das sozusagen allgemein anerkannt ist, und das nicht in deren Eigenschaft liegen kann, den öffentlichen Frieden potentiell stören. Denn, wollen wir den Akt des Leugnens näher betrachten, so stellen wir fest, dass er praktisch nie zu Krawallen oder jeglichen Unruhen unmittelbar führen kann. Man kann sich nämlich schwerlich vorstellen, dass die durch die Leugnung betroffenen Leute, z.B. ein Jude, der sich gekränkt fühlt, oder ein Deutscher, dessen Anständigkeit verletzt wurde, auf Grund dieser konkreten Handlung zu Unruhen oder Gewalttätigkeiten aufgestachelt werden. Die Gefahr für den öffentliche Frieden, die mit der Leugnung verbunden sein kann, stammt also nicht von der Leugnung selbst, sondern von anderen Handlungen (Behauptungen usw.) die außerhalb der Leugnung liegen, wie allerdings auch der BGH implizit akzeptiert hat, und die durch die Leugnung einfach belegt und begründet werden. So liegt, nach dem obigen Urteil des BGH, die Gefahrmöglichkeit für den öffentlichen Frieden und für das Sicherheitsgefühl der Juden eben in den Behauptungen des Täters, dass „die Jagdsaison auf die Deutschen eröffnet ist“ usw., nämlich in Behauptungen die keine Leugnung ausdrücken, sondern nur durch die Leugnung gerechtfertigt bzw. erleichtert werden .
Der Unwert der Leugnung von Akten des Völkermordes, ein Unwert der zweifellos besteht, muss also anderswo liegen, und nicht etwa in irgendeiner Fähigkeit dieses Akts, den öffentlichen Frieden zu stören. Und er muss juristisch relevant sein und nicht bloß in einem moralischen Unwert bestehen. Er muss nämlich in einer Rechtsgutsverletzung bestehen, in einem „harm“ i.S. J.S. Mills , die die Intervention des strafenden Staates beansprucht und notwendig macht. Es fragt sich also: wenn die Leugnung einer historischer Tatsache qua Behauptung über eine Wirklichkeit, und als Aussage mit rein informativem Charakter, den öffentlichen Frieden nicht imstande ist, unmittelbar zu stören; wenn sie, als reine Meinungsäußerung über ein historisches Ereignis, das Gegenstand der wissenschaftlicher Forschung ist, und insofern Verfassungsschutz genießt, wie allerdings die Höchstgerichte Frankreichs und Spaniens akzeptiert haben, könnte sie trotzdem einen Unwert haben, der ihr strafrechtliche Relevanz beimessen könnte?
II. Leugnungstrafbarkeit und Meinungsfreiheit
Es ist wahr, dass die Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit im Falle der Leugnung eines Völkermordes wiederholt in Zweifel gezogen worden ist (Frankreich, Spanien). In der Bundesrepublik wurde die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung des § 130 Abs. 3 StGB mit Art. 5 GG bekanntlich mit dem Argument überwunden, dass der Holocaust eine jenseits von jedem Zweifel liegende Wirklichkeit sei, die den Schutz des Art. 5 GG nicht zu genießen vermag. So lesen wir z.B., dass die Nazi Massenvernichtungen eine „durch zahlreiche Zeitzeugen, zuverlässige Dokumente, gerichtliche Feststellungen und wissenschaftliche Erkenntnisse belegt und deshalb eine sicher erwiesene, offenkundige geschichtliche Tatsache“ sei, sodass das Leugnen derselben „erwiesen unrichtige und bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen“ seien, die (wohlgemerkt: aus diesem Grund!) „weder unter dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit“ fällen noch „sie durch die Forschungs- und Meinungsfreiheit gedeckt“ seien .
Dass dieser Syllogismus unzulänglich ist, liegt jedoch auf der Hand. Die Unwahrheit einer Tatsache (genauer: einer Behauptung über eine Tatsache) kann per se kein Grund dafür sein, den Glauben an diese Tatsache strafrechtlich zu verbieten. Keinem kann das Recht entzogen werden, eine unwahre Tatsache zu behaupten oder daran zu glauben, wenn dadurch kein Rechtsgut beeinträchtigt wird. Sonst müsste strafwürdig auch der sein, der glaubt, dass die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde oder dass die Erde flach ist u.s.w. Deswegen wird zutreffend geltend gemacht, dass ein Tatbestand, der „falsche Meinungen unter Strafe stellt“ (so W. Hassemer, Süddeutsche Zeitung), keine Stellung im Rechtssystem eines Rechtstaates hat. Aus demselben Grund sind ebenfalls die Überlegungen des französischen Conseil constitutionnel (Entscheidung Nr. 2012-647 DC vom 28.2.2012) sowie des spanischen Verfassungsgerichts (Entscheidung vom 7.11.2007) stichhaltig. So führt der Conseil constitutionnel aus, dass das Gesetz, der die Leugnung des Völkermords an den Armenier im ottomanischen Reich unter Strafe stellte, hauptsächlich deswegen verfassungswidrig war, weil es die Meinungsfreiheit sowie die Freiheit zur freien Kommunikation der Gedanken und Meinungen nicht berücksichtigt hatte. An den grundlegenden Charakter dieser Freiheiten ist somit nicht zu zweifeln. Sonst würde man auch Descartes der Straftat des § 130 Abs. 3 überführen, nach dem man mindestens einmal in seinem Leben alles bezweifeln sollte , oder sogar Sokrates, der bekanntlich gesagt hatte «εν οιδα, ότι ουδεν οιδα» („eines bin ich sicher, dass ich nichts weiß“).
Die Argumentation des französichen Conseil constitutionnel bleibt aber nichtsdestoweniger unvollständig und infolgedessen unzulänglich. Denn die kritische Frage, mit der es sich nicht befasst hat, ist eben, ob die Leugnung einer historischen Tatsache wie der Holocaust, über den rein informativen Inhalt hinaus, auch einen zusätzlichen Inhalt hat der Unrechtsträger sein kann, und zwar unabhängig von jeglicher Gefährdung des öffentlichen Friedens.
Wie wir aber schon gesehen haben, hat die Leugnung des Genozids eine zusätzliche Dimension, die Träger ihres eigentlichen Unrechts ist, und die die Konformität einer Vorschrift die sie kriminalisiert mit dem Prinzip der Meinungsfreiheit gewährleistet. Denn es ist unbestreitbar, dass die Leugnungshandlung, über die reine Information hinaus, ein Unbehagen hervorruft, das in der potentiellen Gefährdung des deutschen öffentlichen Friedens nicht bestehen kann. Obwohl, jedoch, der deutsche Gesetzgeber diesen Umstand außer Acht gelassen hat, ist er einen anderen Weg gegangen, der zum selben Ergebnis führt: Er hat nämlich das Leugnen mit dem Erfordernis der potentiellen Gefährdung des öffentlichen Friedens verknüpft, so dass die Vorschrift des § 130 Abs. 3 dt StGB aus diesem Grund im Einklang mit der Verfassung steht und nicht etwa wegen der Tatsache, dass der Holocaust wissenschaftlich unangefochten ist. Wenden wir uns also zunächst der Frage, worin dieser zusätzliche Gehalt bestehen kann.
III. Die Leugnung von Genozid-Verbrechen als Sprechakt
Es ist zunächst einmal offenkundig, dass die Leugnung einer historischer Tatsache, eine Behauptung darstellt, die eine Information beinhaltet: Ich behaupte dass etwas nicht geschehen ist. Über diesen rein informativen Charakter der Behauptung hinaus, hat jedoch eine solche Äußerung eine zusätzliche Dimension: Sie beinhaltet eine Bearbeitung der Information, zumal eine Behauptung über eine bloße Tatsache praktisch selten zur Erscheinung kommt, eine Würdigung und Stellungnahme zu derselben, aber nichtsdestoweniger eine Aufforderung zu einem Verhalten, das mit dem in der Information enthaltenen Wert in Einklang steht. Denn, wie N. Hartmann sagte, „jeder Wert hat, einmal gefasst, die Tendenz zur Verwirklichung“ .
Searle hat nachzuweisen versucht, dass die allgemeine Behauptung, aus deskriptiven Aussagen könnten keine Wertaussagen abgeleitet werden, falsch sei. So führt er aus, dass es in der Sprache eine Menge Gegenbeispiele gebe, die diese Betrachtungsweise in Frage stellten. Denn wenn man eine Behauptung als gültig bezeichne, sie zugleich bewerte. „Die bloße Vorstellung“, schreibt er, „ein Schluss sei gültig, ein Argument zwingend, eine Beweisführung schlüssig, ein Argument zwingend, ist bereits in einem wesentlichen Sinne bewertend, da sei zum Beispiel eine Vorstellung davon einschließt, was angesichts bestimmter gegebener Prämissen zu Recht geschlossen werden kann oder welcher Schluss auf Grund der gegebener Prämissen gerechtfertigt ist…Zum Beispiel folgt aus der Aussage, dass aus p q folgt, unter anderem, dass jeder, der p behauptet, verpflichtet ist, q als wahr anzunehmen; und dass, wenn bekannt ist, dass p wahr ist, man zu Recht schließen kann, dass q“ .
Dabei erweist es sich, dass die Leugnung eines Völkermordes ein Sprechakt ist, der eine Bedeutung hat, die weit über den deskriptiven Inhalt der Behauptung hinaus ragt. Die Leugnung einer historischen Tatsache (gemeint sind natürlich wichtige historische Ereignisse, wie ein Völkermord) hat nicht nur eine beschreibende oder feststellende Funktion, sondern auch eine performative Funktion. Man könnte sagen es handelt sich um einen perlokutionären Akt, da sie Konsequenzen hat, die mit sich selbst nicht identifizieren. Die Äußerung des Sprechers nämlich, bewendet sich nicht nur dabei, eine bloße Tatsache zu negieren, sondern impliziert zugleich, dass wer das Gegenteil behauptet Lügner oder Heuchler ist, dass er seine Zuhörer zu falschen Auffassungen über deren Selbstverständnis verleitet, dass den Opfern kein Mitleid oder Respekt schuldet, weil es eben keine Opfer gegeben hat, u.s.w. Last but not least: Sie fordert Leute auf, historische Ereignisse als unwahr zu ignorieren, und somit ihre Geschichte und kollektive Identität zu fälschen. Dieser Äußerung kommt aber nicht nur das Prädikat „wahr“ oder „nicht wahr“ zu, sondern auch das Prädikat „falsch“ oder „richtig“ .
Dieses, über die Feststellung des Nichtvorliegens von bloßen Tatsachen hinausgehende Werturteil, enthält sozusagen „faktisch“ eine Haltung moralischer Natur, die in der Gesellschaft erhebliche Auswirkungen haben kann, und zwar Auswirkungen die schädlich sein können. In der Tat: Die Bezugnahme auf Tatsachen kann kaum ohne eine gewisse Bearbeitung seitens des Sprechers erfolgen . Eine Beschreibung A durch „rohe Tatsachen“ (brute facts), wie eben die unrichtige Behauptung, dass ein historisches Ereignis stattgefunden hat oder umgekehrt, dass es nicht stattgefunden hat, setzt einen Kontext voraus, (Anscombe nennt ihn „die Institution hinter A“) wobei (und das ist das Entscheidende) dieser Kontext in der Beschreibung nicht enthalten ist (mit den Worten von Anscombe: A sei keine Beschreibung dieser Institution hinter A) . Die Beschreibung ist somit frei, der „institutionelle Kontext“ jedoch kann durchaus Träger von Unrecht sein.
Unter diesem Hinblick, also, kann der Sprechakt der Leugnung durchaus Gegenstand der (straf)rechtlichen Würdigung sein, auch wenn die Leugnung der bloßen Tatsache, als Meinungsäußerung, verfassungsmäßig der Zensur entzogen ist.
Jaspers hat in seinem Werk „Einführung in die Philosophie“ darauf hingewiesen, dass der Mensch ein historisches Wesen sei, der unabhängig von seinem Geschichte nicht gedacht werden könne. Wie er vorbildlich hervorgehoben hat, sei keine Wirklichkeit so wesentlich für unser Selbstbewusstsein, wie die Geschichte. Die Geschichte sei eben der Faktor, der uns die Werte der Tradition, die unser Leben begründen, liefere und die uns die Mittel gäben, die Gegenwart zu würdigen. Was wir in der Gegenwart erleben, werde durch die Geschichte besser verstanden .
Dieselbe ontologische Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart und die existentielle (und kritische) Bedeutung der ersteren für die zweite hat auch Sartre besonders klar dargestellt, wenn er schieb, dass der Mensch seine Vergangenheit sei (s. Sartre, L’être et le néant, Paris 1943, S. 157): „Ich bin meine Vergangenheit und wenn ich es nicht wäre, würde meine Vergangenheit für niemanden geben, weder für mich noch für irgendeinen anderen … Es gibt meine Vergangenheit … weil ich meine Vergangenheit bin…“ (ibid. S. 158)…“Die Vergangenheit kann durchaus so konzipiert werden, als ob sie innerhalb der Gegenwart wäre. Die Gegenwart ist ihre Vergangenheit (ibid. S. 155).
Es ist also evident, dass die Geschichte eines Volks von kritischen Bedeutung für sein Selbstbewusstsein ist und dass demgemäß die Vertilgung dieser Geschichte, d.h. die Beeinträchtigung des historischen Gedächtnisses eines Volks verheerende Auswirkungen für dessen Existenz haben könnte. Es wird nicht ohne Grund gesagt, dass die Vernichtung eines Volkes ohne Weiteres mit zwei Mitteln erfolgen kann: Vernichtung seiner Sprache und Vernichtung seiner Geschichte. Die Kenntnis, das Verständnis und das Andenken wichtiger historischer Ereignisse, wie der Holocaust, haben somit nicht nur einen moralischen Wert, im dem Sinne, dass sie ein Verhaltensvorbild für die Menschheit darstellen, sondern sie sind Bestandteile der Identität eines Volkes und somit unabdingbare Voraussetzungen seiner Existenz überhaupt. Insofern ist das historische Gedächtnis bzw. die historische Identität eines Volkes ein Rechtsgut der Allgemeinheit von erheblicher Bedeutung und dessen Beeinträchtigung kann durchaus strafrechtlich relevant sein, ebenso wie die Verletzung des religiösen Gefühls einer Gesellschaft, in Bezug worauf kein Zweifel erhoben worden ist. So können Behauptungen von krasser historischen Ungenauigkeit im Falle der Verbreitung in aller Welt, also unter Bevölkerungen von anderen Kulturen, durchaus gefährlich sein. Die Behauptung, z.B., dass Moses mit der Tradition der Juden nichts zu tun hat, so aberwitzig auch immer klingen mag, hat einen kränkenden und insofern verletzenden Charakter, der, im Falle etwa ihrer elektronischen Verbreitung auch an andere Völker, die erst mit der Entwicklung der Technologie und der Globalisierung in engerem Kontakt mit der westlichen Kulturen kommen, dem jüdischen Volk höchst unangenehm wäre. Dasselbe gilt für ähnliche eklatant falsche Behauptungen, z.B. dass Alexander der Große kein Grieche war, usw. Es ist somit ersichtlich dass die Leugnung einer Tatsache, die die historische Identität eines Volkes erheblich unterminiert eine eigenständige und von anderen Werten wie der öffentliche Frieden unabhängige Rechtsgutsverletzung darstellt.
Infolgedessen könnte man sagen, dass die Leugnung eines wichtigen historischen Ereignisses den Charakter eines moralischen Völkermords hat, der unter Umständen, d.h. bei Vergessen der eigenen Sprache, zur tatsächlichen Vernichtung eines Volkes führen könnte. Insofern könnte man sagen, dass die Abschaffung des historischen Gedächtnisses eines Volkes den Stellenwert der Vorbereitungshandlung eines tatsächlichen Völkermordes hat. Deswegen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Leugnung von Genozid-Straftaten den Charakter eines Delikts gegen die Menschlichkeit erlangen sollte .
Dies könnte im Rahmen eines internationalen Übereinkommens verwirklicht werden, mit der Formulierung einer für alle Rechtsordnungen gleichen Regelung, die die Völker erlauben würde mit intakter Geschichte aber ohne Ressentiments weiter leben. Daneben dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass auch Rechtsordnungen, die mit Schuldgefühle behaftet sind, das unveräußerliche Recht haben, die dunklen Seiten ihrer Geschichte abzuschließen und solche Straftaten offiziell zu verurteilen, so dass sie in die Zukunft ohne diese Last in der internationalen Gesellschaft weiterleben könnten.
IV. Das durch die Leugnungshandlung beeinträchtiget Rechtsgut
Da also der Akt des Leugnens einen selbständigen Unwert hat, der nicht in der potentiellen Störung des Rechtsfriedens liegt, fragt es sich, welches dieser Unwert ist, oder, m.a.W. welches das durch die Vorschrift des § 130 Abs. 3 dt StGB bzw. durch die homologen Vorschriften der anderen Staaten geschützte Rechtsgut ist. Man hat versucht, den Akt des Leugnens mit der Verletzung der Menschenwürde, ja einer kollektiven („quantitativen“) Menschenwürde in Verbindung zu bringen , mit dem Achtungsanspruch des Andenkens Verstorbener, oder mit einem Anspruch auf die Schuldverarbeitung seitens des strafenden Staates .
Alle diese Rechtsgüter sind aber Teilaspekte der Gesamthandlung, die das volle Unrecht der Tat nicht wiedergeben, das es weit über die Würde von mehreren Einzelmenschen hinausgeht.
Von allen Versuchen in der Literatur, das geschützte Rechtsgut zu identifizieren, erfasst m. E. derjenige von Ostendorf näher die Natur der Sache: Durch die Leugnung, schreibt er, wird der Wahrheitsanspruch der Opfer des Nationalsozialismus verletzt, „in ihrer geschichtlichen Identität“ geschützt zu sein .
Diese Bemerkung bringt einen weiteren Aspekt der Straftat zum Ausdruck, der mit individuellen Rechtsgüter nicht zu tun hat. In der Tat: das Leugnen von so weitreichenden und schwerwiegenden Tatsachen, betrifft nicht nur die Würde von unzähligen aber nichtsdestoweniger vereinzelten Individuen, sondern auch und vor allem die Geschichte von Völkern. Die Leugnung einer solchen Tatsache ist somit Leugnung und Verfälschung von Geschichte. Ein Volk ohne Geschichte ist ein Volk verdammt zum Verschwinden. Und der Mangel an historischem Gedächtnis eines Volkes ist viel schwieriger zu bekämpfen als die militärischen Massenvernichtungen. Denn die letzteren sind materiellen Natur und erzeugen Hass und allgemeine Missbilligung, während erstere von Natur aus unauffällig und aus diesem Grund viel gefährlicher ist.
V. Drei weitere Probleme des § 130 Abs. 3 dt StGB
Die Regelung des § 130 Abs. 3 dt StGB gibt Anstoß zu weiteren Problematisierung: Es ist zunächst auffallend, dass der deutsche Gesetzgeber die Strafbarkeit ausschließlich mit der deutschen Rechtsordnung verknüpft hat, indem er verlangte, dass die Handlung geeignet sein muss, den (deutschen) öffentlichen Frieden zu stören. Damit hat er zum einen erklärt, dass sich die Strafbarkeit auf ein inländisches Rechtsgut beschränkt, zum anderen aber, hat er die Frage nach der eigentlichen Bedeutung und Funktion des Eignungsbegriffs gestellt.
Schließlich hat er die Strafbarkeit auf die Leugnung von Handlungen der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuchs beschränkt, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangen worden sind. Diese Beschränkung ist mehrmals zu Recht kritisiert worden: So wird zunächst darauf hingewiesen, dass das Gesetz einen einzigen Fall von Äußerungen als strafwürdig erkläre, nämlich die Leugnung des Holocaust allein, und somit „den Gedanken der Allgemeinheit von Gesetzen“ vernachlässige, nach dem „auch eine „andere“ Gewalt- oder Willkürherrschaft“ einbezogen werden sollte .
Diesen Weg sind allerdings, wie wir gesehen haben, auch alle Staaten, die solche Verhaltensweise bestrafen, sowie die einschlägige Richtlinie der Europäischen Union. Es ist schließlich charakteristisch, dass der französische Conseil constitutionnel, der die Bestrafung der Leugnung des Völkermordes an dem armenischen Volk als verfassungswidrig erklärte, einen Grund dieser Verfassungswidrigkeit eben in der Verletzung des Gleichheitsprinzips gesehen hat, da die fragliche Vorschrift nur die Leugnung der vom französischen Gesetz anerkannten Völkermorde bestrafte und nur die Leugnung von Völkermorden, unter Ausschluss der übrigen Straftaten gegen die Menschlichkeit .
VI. Die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, als Dispositionsbegriff
Es lohnt sich ferner, dem Tatbestandsmerkmal der Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Eignung als solche, ist, schon nach unserem Sprachgefühl, keine unmittelbar beobachtbare Tatsache oder Situation oder sogar Eigenschaft der Handlung. Wir können die Eignung nicht sehen oder messen, denn sie ist unseren Sinnen nicht zugänglich. Deswegen wird (zu Recht) ausgeführt, dass man auf Merkmale der Empirie abstellen müsse, um über das Vorliegen der „Eignung“ entscheiden zu können, wie z.B. auf „alle relevante Umstände, insb. den inhaltlichen Gehalt sowie die Modalitäten der betreffenden Äußerung aber auch das geistige Klima“ oder aber auf „Inhalt und Intensität des Angriffs, die Empfänglichkeit der Öffentlichkeit…, das Vorhandensein offener oder latenter Gewaltpotentiale“ usw.
Diese äußeren Merkmale seien deswegen von Bedeutung, weil sie das Vorliegen des Geeignetheitsbegriffs „indizieren“ .
Man sieht also, dass auf die Eignung der Leugnung, den öffentlichen Frieden zu stören von äußeren Umständen geschlossen wird, die außerhalb des Eignungsbegriffs stehen. Und zur Herstellung dieses Schlusses werden natürlich nicht nur diese äußeren Merkmale gebraucht, sondern, schon begriffsnotwendig, eine Regel, die uns sagen würde, wie diese Merkmale ausgewertet werden sollten. Schon ein erster Kontakt mit der Auslegung der „Eignungseigenschaft“ im § 130 Abs. 3 dtStGB ergibt also dass sie nicht wird, sondern mit Hilfe äußerer empirischen Umstände der Tathandlung zugeschrieben wird.
Das aber bedeutet nichts anderes, als dass die Rechtsprechung und Lehre die „Eignung“ des § 130 Abs. 3 StGB (unwissentlich aber richtigerweise) faktisch als Dispositionsbegriff behandeln, was wiederum bedeutet, dass die dispositionelle Analyse auch hier von Bedeutung ist .
Carnap hat bekanntlich die Dispositionsbegriffe dadurch zu erfassen versucht, indem er auf die Unterscheidung der wissenschaftlichen Sprache in zwei Stufen abstellte, nämlich die Beobachtungs- und die Theoretische Sprache. Während mit der Beobachtungssprache, die vollständig interpretiert sei, Merkmale beschrieben werden, die direkt wahrgenommen werden können, seien die Merkmale der Theoretischen Sprache der unmittelbaren Wahrnehmung nicht zugänglich und ließen ihre Terme keine explizite Definition zu. Deswegen seien die Terme der Theoretischen Sprache nicht aus sich heraus verständlich und würden auf dem Niveau der Beobachtungssprache eben mit Hilfe von Transformationsregeln abgebildet, die die Entsprechung zwischen den Aussagen der theoretischen Sprache und jenen der Beobachtungssprache ausdrücken. Diese Regeln nennt man Korrespondenzregeln und die Merkmale der Beobachtungssprache, wodurch man, unter Anwendung dieser Regeln theoretische Terme abbildet, werden Indikatoren genannt .
Die Eignung zur Störung der öffentlichen Ordnung ist somit keine wahrnehmbare Tatsache, die festgestellt, beschrieben und bewiesen werden kann, da auf sie von äußeren Umständen, also von empirischen Merkmalen geschlossen wird und die, infolgedessen nur zugeschrieben werden kann, und zwar auf einem bestimmten Denkprozess. Diese Notwendigkeit vom Gebrauch empirischer Merkmale bedeutet aber, dass die Manifestationen einer Disposition eben keine logischen Wahrheiten darstellen, die vom Dispositionsbegriff logisch deduziert werden können, sondern dass sie in Gegenüberstellung zur Wirklichkeit nur verifiziert werden können .
VII. Die Leugnung als Äußerungsdelikt – Der Tatort der Straftat bei Begehung über das Internet
Es ist auffallend, dass die Vorschrift des § 130 Abs. 3 dt StGB die Leugnung unter der Voraussetzung bestraft, dass der inländische Rechtsfrieden (wenn auch nur potentiell) gefährdet wurde. Damit verbindet die Vorschrift, offensichtlich aus Gründen der Rechtssicherheit, die Strafbarkeit der hier zur Erörterung stehenden Straftat mit einem ausschließlich inländischen Rechtsgut .
Es ist jedoch ein bisschen kontrovers, eine Straftat ausschließlich mit der inländischen Rechtsordnung zu verbinden, obwohl sie sich auf den Völkermord, d.h. auf den Kern der internationalen Verbrechen bezieht. Konsequenter wäre vielleicht, auch die Leugnung anderer Gräueltaten zu pönalisieren, die den gleichen Unwert aufweisen, wie die Massenmörder in Ruanda und Sierra Leone, in der Sowjetunion während der Stalin-Zeit, in Argentinien während der Diktatur, im Ottomanischen Reich gegen die Armenier, usw. Eine verbreitete Propaganda, z.B., die, ohne die Leute zu Rassenmanifestationen aufzustacheln, auf Vergessenheit des Holocausts oder entsprechender Straftaten gerichtet ist, ist ebenso schädlich, da sie das historisch ausgebildete Selbstbewusstsein und Selbstverständnis eines Volkes vernichtet. Dieser Schaden ist aber viel scherwiegender als jeglicher öffentliche Frieden und hat deshalb einen eigenständigen Unwert unabhängig von inländischen Rechtsgütern.
Diese Stellungnahme des Gesetzgebers, der die Leugnung mit einem inländischen Rechtsgut verbindet, hat auch folgende praktische Auswirkung: Findet die Leugnung eines Genozids, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangen wurde, in einem anderen Staat, z.B. in Polen Rumänien oder Griechenland und hat diese Behauptung keine Resonanz in der Bundesrepublik, geschweige denn eine Gefährdung des inländischen Rechtsfriedens, so ist die Tat nach § 130 Abs. 3 dt StGB straffrei, auch wenn sie von einem deutschen Bürger begangen worden ist. Denn § 7 Abs. 2.1 dt StGB (Geltung des deutschen Strafrechts wenn der Täter zur Zeit der im Ausland begangenen Tat Deutscher war) setzt voraus dass die Tat auch nach Tatortrecht strafbar sein muss, was im Falle der Beeinträchtigung eines inländischen Rechtsguts schon begriffsnotwendig nicht der Fall sein kann. In diesem Fall wird also die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht erfüllt. Denn die Leugnung kann unter keinen objektiven Tatbestand nach der Rechtsordnung des Tatorts subsumiert werden, da letztere den deutschen öffentlichen Frieden nicht schützt. Aber auch § 5 dt StGB (Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter) findet hier keine Anwendung, da er die hier zur Erörterung stehende Straftat nicht deckt.
Der Fall der Begehung der Straftat im Ausland ist bekanntlich mit einer umfassenden Auseinandersetzung über die genaue Bestimmung des Tatorts verbunden, die aus dem Umstand folgt, dass das Leugnen des Holocausts im § 130 Abs. 3 dt StGB als abstrakt- konkretes oder potentielles Gefährdungsdelikt formuliert ist. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 12.12. 2000 (NJW 2001, 624) die Bundesrepublik als Tatort der von Australien aus über das Internet im Inland zugänglich gemachten Behauptung, dass die Deutschen niemals in Gaskammern europäische Juden vernichtet haben, betrachtet. Als Grund dafür hat das Urteil angegeben, dass „bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten ist ein Erfolg im Sinne des § 9 StGB dort eingetreten, wo die konkrete Gefahr ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann“.
Der Gedanke, der dieser Überlegung zugrunde liegt, ist es, dass Tatort eines potentiellen Gefährdungsdelikts auch der Ort sein kann, an dem Besorgnisse über die Entstehung einer Gefahr für das jeweilige Rechtsgut entstehen können, also auch der Ort, wo man Besorgnisse über eventueller Störung des Rechtsfriedens gemacht hat. Mit anderen Worten: Der Ort wo das probabilistische Urteil über die Rechtgutsgefährdung stattgefunden hat. Diese Betrachtungsweise aber, wie allerdings auch alle Meinungen die sich zu dieser Frage geäußert worden sind , sind jedoch in der Logik des abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikts eingekesselt und versuchen den Enderfolg dieser Deliktsart dogmatisch herauszubilden.
Bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten ist es jedoch nicht so. Behauptet man nämlich, dass „bei dieser Deliktskategorie eine Erfolgsortbegründende Gefährdung nur insoweit in Betracht [kommt] als im Einzelfall eine für konkrete Gefährdungsdelikte erforderliche Gefahr eingetreten ist“ , so wandelt man diese Delikte in konkrete Gefährdungsdelikte um und zwar nur um einen Erfolgsort zu gewinnen.
Der Grund der Ausweglosigkeit liegt m.E. darin, dass man den Tatortbegründenden Erfolg unbedingt im Bereich der Gefährdung entdecken will, der aber deswegen unangemessen ist, weil die Gefährdung bei den potentiellen Gefährdungsdelikten eben kein tatbestandsmäßiger Erfolg i.S. des § 9 dt StGB ist, sondern nur Bezugspunkt des probabilistischen Urteils über deren Eintrittsmöglichkeit.
Das alles bedeutet jedoch nicht, dass die Straftat der Leugnung nach § 130 Abs. 3 dt StGB keinen tatbestandsmäßigen Erfolg und daher keinen Erfolgsort haben kann. Es ist nämlich unbestreitbar, dass diese Straftat ein Äußerungsdelikt ist, und als solches einen Erfolg hat, der in Erlangung der Kenntnis der tatbestandsmäßigen Äußerung besteht.
In der Tat: Die Äußerungsdelikte sind Erfolgsdelikte, da sie einen von der Tathandlung klar unterscheidbaren Erfolg beinhalten, nämlich die Kenntniserlangung, von einer Person, der durch den Täter gemachten tatbestandsmäßigen Äußerung. Solche Delikte sind z.B. die Beleidigung, der Betrug, insofern er Kenntnisnahme seitens des Opfers der Täuschungsbehauptung voraussetzt, und u.U. auch die Unterschlagung, insofern die Zueignungshandlung in der Behauptung besteht, der Täter sei Eigentümer der Sache. Im Falle der Leugnung einer historischen Tatsache wird also, wenn auch stillschweigend aber logisch zwingend, neben der tatbestandsmäßigen Handlung, die in der Formulierung der Behauptung besteht, auch ein davon unterschiedlicher Erfolg vorausgesetzt, nämlich die Kenntniserlangung dieser Behauptung durch die Adressaten. Infolgedessen können diese beiden Bestandteile der Straftat unterschiedliche Tatorte haben .
Der Ort, also, wo die Internet-Benutzer von den anstößigen Behauptungen Kenntnis erlangt haben, ist auch Erfolgsort der Straftat. Der Umstand, dass es sich um einen Zwischenerfolg handelt, dass er ein Erfolg immaterieller Natur ist oder dass er als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erst durch Auslegung erschlossen wird, spielt keine Rolle, da er nichtsdestoweniger tatbestandsmäßiger Erfolg ist .
In Anbetracht der obigen Erwägungen ist es durchaus ersichtlich, dass im Falle der Speicherung eines verwerflichen Textes in einem ausländischen Server, der über das Internet im Inland abgerufen werden können, ein inländischer Tatort begründet wird, sobald der inländische Benutzer Kenntnis vom Inhalt der Äußerung erlangt. Der Eintritt, infolgedessen, eines weiteren Erfolges in Form einer konkreten Gefährdung ist weder notwendig noch von Belang.
IX. Zusammenfassung
Das Leugnen eines Völkermords, aber auch der übrigen Delikte gegen die Menschlichkeit, ist, als Sprechakt, Träger von eigenständigem Unrecht, das in der Gefährdung der historischen Identität des betreffenden Volkes liegt. Insofern ist es, als „moralischer Völkermord“ in Wirklichkeit eine Art Vorbereitungshandlung eines Völkermordes i.S. des Genfer Übereinkommens und sollte für alle unangefochtene Handlungen dieser Art strafbar sein, unabhängig von der Gefährdung der inländischen Rechtsordnung.